Rede in Auszügen zur Eröffnung der Installation „Übergänge“ von Birgit Berg-Block am 07. November 2003, von Dorothea Hillingshäuser, seinerzeit Pfarrerin für evangelische Stadtkirchenarbeit, Mainz

Ein Foyer ist ein Übergangsraum. So dürfte es kein Zufall sein, dass Birgit Berg-Block ihre „Übergänge“ an einem Übergangsort installiert hat. Bei ihrer Suche nach einem geeigneten Raum war ihr zunächst der sakrale Raum ein Anhaltspunkt. Als wir uns die Christuskirche anschauten, war sehr schnell klar, dass der Raum, in dem wir jetzt stehen, der ideale Ort ist.

[….] Sie studierte am Frankfurter Städel Malerei. Den anfänglich sehr zarten Malereien mit fernöstlichem Anklang folgten Materialkästen, die dann in die Gestaltung von Collagen, Objekten, Skulpturen und Installationen mündeten. Sie begann, sich von zufällig Gefundenem inspirieren zu lassen, sie stöbert in Trödlerläden und besucht Flohmärkte. Was ihr auf diese Weise zufällt, nutzt sie für ihre Einfälle, sie fügt es zusammen und gibt uns ihre Reflexion von Wirklichkeit als bildhaften Eindruck. Wer ihre Werke kennt, weiß, dass sie von Klarheit und einer gewissen Einfachheit gekennzeichnet sind, die gleichzeitig intensiv, ausdrucksstark und vielschichtig daherkommt. Sie haben eine emotionale Präsenz, der man sich schwer entziehen kann. Die Auseinandersetzung mit Leben und Tod spielt schon seit geraumer Zeit eine Rolle in ihrem Werk.

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Was sehen wir?

Wir sehen 14 Figuren, knallgelb, die im Rund des Innenraums angeordnet sind. Es sind Puppenfiguren, die mit gelbem Knetwachs überzogen sind. Die ursprünglich hautfarbenen Plastikpuppen haben eine zweite Haut bekommen. Der Wunsch nach diesem kräftigen Gelb wurde in der Künstlerin durch ihre Begeisterung für gelbe Rapsfelder geweckt, die sie auf einer Urlaubsreise entdeckte. Die intensive Farbe, der man sich schwer entziehen kann, die leuchtend von Leben und Wachstum erzählt, gleichzeitig aber fast in den Augen ein wenig weh tut, inspirierte Birgit Berg-Block dazu, gelbe Figuren zu schaffen. Kinder, Heranwachsende, stellt sie uns verfremdet in die Mitte. Sie wirken wie eine absurde Mischung aus Konformität und Individualität. In den Gesichtern wird mit dem wiederkehrenden Kindchenschema ein bestimmtes Betrachtungsmuster in uns wachgerufen, die gleichartige gelbe Färbung durch das Wachs schafft eine große Ähnlichkeit, während die unterschiedlichen Haltungen der Figuren, die verschiedenen Körper und unterschiedlichen Frisuren eher ihre Einzigartigkeit betonen. Ähnlich ist es beim Raps, der als Pflanze lebendig ist, wächst, blüht und verblüht, jede Pflanze ein wenig anders aussieht als die andere, aber als Feld wie eine große gelbe Fläche wirkt und oft in Monokultur angebaut wird. Damit stehen die Figuren gleichzeitig für das pralle Leben, die kindliche, unverfälschte Lebensfreude, das spielerische Element wie auch für künstliche Vervielfältigung, serielle Eintönigkeit. Sie können das Kind in uns genauso ansprechen wie ein Schaudern darüber auslösen, was heutzutage alles in den Bereich des Möglichen gerückt ist.

Zu diesen Puppenfiguren, die so aussehen, als seien sie mitten im Spiel angehalten worden, hat Birgit Berg-Block fünf Fotografien einer sehr alten Dame gestellt. Sie bauen eine Art schützendes Rund auf. Zum kräftigen Gelb treten schwarz-weiß Fotografien mit feinen Schattierungen, zu den glatten Kinderfiguren tritt ein altes, vom Leben gezeichnetes Gesicht. In diesem Gesicht spiegelt sich heitere Freude, es strahlt Gelassenheit aus, es vermittelt Leichtigkeit. Dass es sich bei der Fotografierten um die Großmutter der Künstlerin handelt, spielt dabei keine nennenswerte Rolle, die Fotos erzählen von der Weisheit des Alters, von Freiheit angesichts des näherrückenden Todes, von der Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit und auch von der Aufhebung der Zeit. Die uralte Heilerin spricht genauso aus diesem Gesicht wie eine urmütterliche Lebenskraft. Es ist ein Gesicht, das in seiner Lebendigkeit unmittelbar anspricht. Die Fotografien fangen diese Lebendigkeit in einer Weise ein, dass man fast meint, sie reden oder lachen zu hören. Es sind Momentaufnahmen, die Birgit Berg-Block kurz vor dem Tod ihrer Großmutter machen konnte. Sie sind greifbare Zeugnisse von einem Leben, aus dem es unzählige, kleine Geschichten zu erzählen gäbe.

Birgit Berg-Block will Geschichten erzählen. Und sie tut es auf ihre Weise. Nicht mit Worten, wie wir es kennen und gewohnt sind. Sondern mit einer Installation. Sie fügt Gefundenes, Gesuchtes und Zufälliges zu einem größeren Gefüge zusammen und erzählt vom Leben und seinen verschiedenen Schichten und Geschichten. Wir können uns dem nähern, indem wir die gelben Kinderfiguren und die Fotografien zu uns sprechen lassen. Welche Geschichten fallen uns ein, wenn wir in dies von Falten gezeichnete Gesicht schauen? Warum sind die Fotografien rückseitig durch Kinderstühle stabilisiert-wie verbindet sich Kindheit und Alter, was verbindet Kindheit und Alter?

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Allem zugrunde liegt die scheinbar banale Frage „Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin?“- eine der zentralen Fragestellungen des Lebens. Ob sie uns eher philosophisch oder mehr auf der existenziellen Ebene anspricht, ist je nach Lebenssituation verschieden.

In diesem Grundthema wird für mich verständlich, warum die Künstlerin einen Kirchenraum suchte. Hier wird diesen und ähnlichen Fragen nachgegangen. Dieser Raum kennt diese Fragestellung und unterstützt eine Annäherung. Nicht zufällig haben wir in der Musik Auszüge aus Distlers Totentanz und Lechners Deutschen Sprüchen von Leben und Tod ausgewählt. [….]