Eröffnungsrede (in Auszügen) von Dr. Juliane von Fircks anlässlich der Ausstellung „Objekte“ von Birgit Berg-Block im Kunsthaus Wiesbaden 2002

Birgit Berg-Block schafft Skulpturen aus von ihrem funktionalen Kontext gelösten Dingen, aus Fundstücken oder objets trouvés. [….] Eine geistige Dingwahrnehmung führt die Künstlerin dazu, Dinge, die Bausteine unserer Welt, gleichsam in einer anderen Perspektive wahrzunehmen. Die aus Einzelteilen zusammengefügten Gebilde erscheinen befremdlich, weil im Objekt die einstige Funktion der Einzelteile, die sich jeweils im Namen kristallisiert (Stuhl, Handschuh, Bügelbrett), ignoriert wird. Jedoch ergeben sich aus der nicht nach der Funktion, sondern streng nach ästhetischen Kriterien, bei denen zum Beispiel auch die aussagekräftige Farbe eine Rolle spielt, erfolgten Zusammenfügung der Teile neue Bedeutungen, eine ganz eigene Metaphorik, die weniger die Welt der physikalischen Erfahrung als die des psychischen Erlebnisses spiegelt. [….]  Birgit Berg-Block steht damit in der Tradition des Surrealismus als Spielart des Expressionismus, der gegen eine Welt, die auf ihre pure Funktionalität reduziert und deshalb als sinnentleert empfunden wurde, Protest erhob und im Gegenzug die Innenwelt der Psyche mit ihren teils unbewussten Wünschen, Trieben und Ängsten zur wesenhafteren Wirklichkeit des Lebens erklärte und zum Ausdruck zu bringen suchte. Auch bei Berg-Block bringt die Zusammenfügung unterschiedlicher Dinge innere Bilder zur Erscheinung. Dabei sind es jedoch stets die Dinge selbst, die ihr den Weg weisen. Sie sieht sie auf Flohmärkten oder in Trödelläden, wo sie ausrangiert, auf den gnädigen Blick eines Käufers warten. Jedoch können auch gebrauchte Gegenstände aus dem eigenen Haushalt Verwendung finden. Gelegentlich bringen ihr Bekannte ein ausgemustertes Teil. Gegenstände, die sich zur Weiterverarbeitung anbieten, wie die roten Arbeitshandschuhe, stammen aus ganz gewöhnlichen Geschäften für Arbeitsbekleidung. Der Kontext, aus dem die interessierenden Dinge stammen, ist also nicht notwendig ein persönlicher. Wichtig ist Berg-Block dagegen, wie bereits erwähnt, dass sie herauslösbar sind aus einer wie auch immer gearteten Funktion oder festgeschriebenen Situation, obwohl diese, wie beim Stuhl oder den Handschuhen im Kunstwerk noch als Erinnerung erkennbar sein darf und auch soll, weil das fremdverwendete Vertraute zur gewünschten irritierenden, absurden Erscheinung der Skulpturen beiträgt und gleichzeitig auch als Einstieghilfe in die Vorstellungswelt oder besser Erlebniswelt der Künstlerin dienen kann. [….] In den Skulpturen werden sie in einen fetischartigen, [….] märchenhaften [….] oder wie bei fast allen Objekten, in denen Puppen auftauchen, erzählerischen Kontext gebracht, in welchem sie zu einem neuen Leben erwachen. Sie behaupten darin zwar ihren Dingstatus, verweisen zugleich aber durch den befremdlichen Kontext- anders als in ihrer alltäglichen Funktion- auf eine tiefer, bis in das Unbewusste hinabreichende Bedeutung und können so Ausdruck einer inneren Erfahrung werden. Die besondere Ästhetik Berg-Blocks erweist sich so auch als spezifische Qualität des Fühlens.

Seit einigen Jahren sind neben Tieren und Gegenständen auch Puppen Protagonisten ihrer Arrangements [….]   Die Puppe ist aber auch ein Gegenstand, der durch seine, die menschliche Gestalt nachahmende Erscheinung, eine dialogische Möglichkeit in sich birgt. So spiegelt sich der Mensch im Auge eines anderen Menschen als kleine Puppe, die der Pupille, dem Augenpüppchen ihren Namen gab. Durch die Ambivalenz zwischen Belebtsein und Unbelebtsein kann die Puppe einerseits passive Projektionsfläche für Wünsche, Gefühle und Phantasien sein wie bei der Kinderpuppe oder andererseits wie die Puppe Olympia in der Erzählung „Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann oder im Werk mancher Surrealisten ein starkes, manchmal bedrohliches Eigenleben entfalten. Eine derartige Lebendigkeit scheint in besonderer Weise einem der ersten ganzfigurigen Puppenobjekte Berg-Blocks, der Figur „weitsichtig“ innezuwohnen. Sie besteht aus einem Tonköpchen auf einem Drahtgestell und einem von einem abgelegten Mantel der Künstlerin stammenden Fellärmel. Die kleine Gestalt steht auf einer alten Kinderleiter. Der kahle Kopf, nur bedeckt von einem aus orangem Wachs geformten Mützchen erweckt im Zusammenklang mit dem langen Mantel Assoziationen an einen buddhistischen Mönch. Der auratische Eindruck wird durch die kindlich weichen Züge verstärkt, die mit dem dunklen und dicken Fell des Mantels kontrastieren. [….]  Die kindliche Gestalt wirkt zerbrechlich und ist doch zugleich von einer seltsamen Energie erfüllt. Lässt der gesenkte Kopf die Figur introvertiert erscheinen, verleihen die ausgefahrenen Augen ihr ein unheimliches, aktives Eigenleben. Wie Fühler stehen die Augen, die durch kleine Wachsringe repräsentiert werden, hervor und übernehmen die Funktion der fehlenden Arme. Das Unheimliche der Gestalt ergibt sich aber auch aus dem mitschwingenden Eindruck, die Augen des Kindes seien durchstochen. Damit klingt in der Skulptur das Motiv der geraubten oder verletzten Augen an, welches als Urmotiv des Grauens oder Schreckens so viele Märchen bevölkert und welches Freud in seinem Essay über das Unheimliche als Ausdruck der Kastrationsangst deutet. [....]

Die großen, mit farbigem Wachs überzogenen Kinderspielpuppen, wie die gelben in „Rapsfresser“ oder die rote in „Magdala“ sowie das anthrazitfarbene, mit Bleistift überzogene „Atlasbaby“, bei welchem es sich um eine armlose, ausrangierte, kindliche Schaufensterpuppe handelt, weisen aber in eine andere Richtung. Berg-Block eignet sich die fremden, vorgefertigten Puppen im künstlerischen Gestaltungsakt an, der zunächst im Überziehen der Puppen mit farbiger Wachsknete besteht. [….] Mit dem durchscheinenden Wachs verleiht ihnen Berg-Block eine zweite, gleichsam atmende Haut und haucht ihnen damit Leben ein. Aus Puppen werden Kinder, die offenbar eine Art alter Ego ihrer Schöpferin darstellen. Durch die unter dem Wachs sichtbaren, geschlossenen Augen bekommen manche der Puppen einen geradezu somnambulen Charakter. Mit raumwandlerischer Sicherheit scheinen sie sich wie „Magdala“ unter uns zu bewegen, wobei der schnuppernde Igel zu ihren Füßen, dessen stachlige Fellstruktur von dem wachsverklebten Haar des Kindes wiederaufgenommen wird, die Rolle des staunenden Betrachters einnimmt. Wie eine belebte Bronzeskulptur erscheint dagegen das „Atlasbaby“, welches anstelle der ausgebreiteten Arme zwei Hälften eines Tisches trägt und uns aus weitgeöffneten, bewimperten Kunststoffaugen anschaut.

Bleibt noch, auf die bedeutende Rolle der Farbe in den Skulpturen Berg-Blocks hinzuweisen. Ebenso wie der naturalistische Effekt, den Wachspuppen hervorrufen, lange Zeit als unkünstlerisch verunglimpft wurde, wurden farbige Skulpturen von der klassischen Kunstgeschichte aufgrund eines ähnlich irritierenden Effektes mit Misstrauen betrachtet. Als zu verstörend wurde die mittels der Farbe vorgenommene Grenzverletzung zwischen Betrachterrealität und künstlerischer Illusion erlebt, man denke etwa an die geteilten Urteile über die Skulpturen Duane Hansons. Bei Berg-Block kommt der Farbe wie etwa dem Blutrot in dem Handschuhobjekt die Signalfunktion zu, uns in die surreale Welt ihrer Skulpturen hineinzuziehen. Wie die Fundstücke bildet die Farbe ein Gestaltungselement welches auf die Dingwelt- den Wachs, das Gummi- verweist, in den Objekten aber wieder an den Schichten unseres Unbewussten rührt, so dass die Handschuhe des großen Vorhangs, der wie ein Mantel die Wolfspuppe umrahmt, plötzlich feucht und blutig erscheinen können. [….]